Europa re-evangelisieren

Europa re-evangelisieren

Wie steht es heute um den Kontinent, von dem in der Vergangenheit so viele globale Missionsbewegungen ausgegangen sind? Der britische Missionar und Missiologe Jim Memory wagt in seinem kürzlich erschienenen Report einen hoffnungsvollen Über- und Ausblick. Ein Auszug.

In unserer Zeit findet auf unserem Kontinent eine außergewöhnliche Wieder-Evangelisierung statt. Dabei lassen sich drei Dimensionen ausmachen: Diasporakirchen, Gemeindegründungsbewegungen und -plattformen, sowie die nächste Generation. […]

Diasporakirchen

Wie sollten die europäischen Kirchen auf das reagieren, was manchmal als der „Segensreiche Reflex“ bezeichnet wird? Christen aus der Majority World (deutsch: Mehrheitswelt) bringen viele Gaben mit, die sie mit ihren Brüdern und Schwestern in Europa teilen können: ihre lebendige Spiritualität, ihren evangelistischen Eifer und, vielleicht mehr als alles andere, ihr unerschütterliches Vertrauen in das Handeln Gottes. Darüber hinaus erkennt ihre Theologie die Realität geistlicher Mächte an, die im westlichen Denken oft wenig oder gar keinen Platz haben […].

Angesichts der scheinbar unaufhaltsam fortschreitenden Säkularisierung in Europa ist dies ein Segen Gottes für die Kirchen in Europa. […] Ganz allgemein sollten die Kirchen in allen Städten, in denen es Diasporagemeinden gibt, ihren Brüdern und Schwestern aus Afrika, Lateinamerika und Asien die Hand der Gemeinschaft reichen, und damit meine ich, dass sie viel mehr tun sollten als nur ihre Kirchengebäude für Gottesdienste zu vermieten. Viele tun bereits mehr als das, aber in einigen Teilen Europas sind sich die Kirchenleitungen einfach noch nicht über das Potenzial der Zusammenarbeit mit den Kirchen der Diaspora bewusst geworden. Um dahin zu kommen, kann es notwendig sein, dass sich die europäischen Verantwortlichen in Kirche und Gemeinde ihrem unbewussten Rassismus und ihren kolonialistischen Haltungen stellen müssen.

Schließlich müssen wir die Auswirkungen des Genannten auf die Missionsausbildung bedenken. […] Welche Konzepte des europäischen Denkens müssen Kirchenleiter in der Diaspora verstehen lernen, damit sie erfolgreich in der Mission unter Europäern tätig sein können? Umgekehrt, welche Änderungen müssen in den Lehrplänen der theologischen und missiologischen Ausbildungsstätten in Europa vorgenommen werden angesichts dieser neuen Realität des Weltchristentums auf dem alten Kontinent?

Sind wir wirklich bereit, den Leitern aus der Majority World zuzuhören und von ihnen zu lernen? Oder werden wir die Gaben, die sie als Teil des „Segensreichen Reflexes“ des Geistes Gottes mitbringen, zurückweisen?

Gemeindegründungsbewegungen

Die Gründung von Gemeinden wird eine entscheidende Rolle spielen, wenn Europa aus dem durch Covid-19 verursachten Lockdown wieder herauskommt. Viele Europäer werden wohl die Sicherheit des „Bekannten“ suchen, die Kirchengebäude, die ein starkes Symbol für christliche Kontinuität und Normalität bleiben. Viele andere sind vielleicht offen für neue Formen christlicher Gemeinschaft, und es gibt Anzeichen dafür, dass selbst in diesen schwierigen Zeiten solche „fresh expressions“ entstehen. Unsere Kreativität muss jedoch mit der biblischen Lehre in Einklang gebracht werden, wenn diese neuen christlichen Gemeinschaften wirklich Veränderung bringen sollen.

Neue Kirchen können sich viel schneller an ein sich rasch veränderndes Umfeld anpassen, und wir können Gott dafür danken, dass es in einer Zeit des offensichtlichen Kirchenrückgangs aufkeimende Gemeindegründungsplattformen und -bewegungen sowie Diasporakirchen in Städten von Dublin bis Dubrovnik gibt. Dennoch müssen wir uns gründlich damit auseinandersetzen, was wir im vergangenen Jahr über das Wesen der christlichen Gemeinschaft gelernt haben. Kirche, Arbeit und das Leben im Allgemeinen werden auch in Zukunft hybride Realitäten sein. Dass etwas digital und im Präsenzmodus stattfindet, wird uns wohl noch über Jahre begleiten. Eine der Prioritäten in diesem Bereich ist es, europäische und Diasporagemeindegründungsnetzwerke miteinander zu verbinden, so dass die Gaben Gottes für die Wieder-Evangelisierung Europas miteinander geteilt werden können. […]

Nächste Generation

Die meisten Erweckungen in der Geschichte fanden unter jungen Menschen statt. Mehr noch, sie wurden von jungen Menschen angeführt. Die Missionsgesellschaft, mit der ich zusammenarbeite, die Europäische Christliche Mission, wurde 1903 während eines Gebetstreffens in Estland von Ganz Raud gegründet, als er gerade 25 Jahre alt war. YWAM, OM, 24/7 Prayer wurden alle von Menschen gegründet, die zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Wie Brian Stanley feststellte, „waren auch in Asien, Afrika und Lateinamerika die Hauptakteure der Mission häufig junge Menschen oder Frauen.”

Die jüngere Generation in Europa scheint so zerbrechlich und verwirrt und ihre Zukunft so ungewiss. Doch vielleicht ist es genau das, was Gott braucht: eine junge Generation, die bereit ist, jenseits der menschlichen Politik nach Antworten darauf zu suchen, wie ein Leben in Fülle aussieht. Sie brauchen unsere Gebete, unsere Ermutigung und die Freiheit, ihre Gaben zur Ehre Gottes einzusetzen. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass sich die christliche Diasporagemeinschaft in Europa überwiegend aus jungen Menschen zusammensetzt. Die Wieder-Evangelisierung Europas hängt von dieser nächsten Generation ab. Wir müssen ihnen Freiheiten geben, Leitung zu übernehmen.

Wir müssen uns jedoch auch noch einer anderen harten Wahrheit stellen. Viele der Führungsaufgaben in unseren bestehenden Strukturen sind für die nächste Generation einfach nicht mehr attraktiv. Wie Christian Kuhn, der Direktor der Schweizerischen Evangelischen Allianz, es ausdrückt: „Die nächste Generation ist nicht daran interessiert, die bestehenden Leitungsmodelle beizubehalten… (sie wollen) partizipative Leitung, beratende Leitung, selbstverwaltete Leitung.“ Wenn wir jedoch ihr unternehmerisches Potenzial in der Mission nutzen können, „könnte dies eine großartige Startrampe für Tausende von Gemeindegründungs- oder Jüngerschaftsprojekten werden.“

Auszug aus „Europa 2021 – Ein missiologischer Bericht“ von Jim Memory (S. 28.50–52)

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2022) erschienen.